Neues Aktienrecht ab 1. Januar 2023: Flexiblere Kapitalvorschriften, virtuelle Generalversammlung und vieles mehr
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 2. Februar 2022 nach einer langjährigen Revisionsphase die Änderungen im Obligationenrecht (OR) und in der Handelsregisterverordnung (HRegV) in Kraft gesetzt. Die neuen Gesetzesbestimmungen gelten ab 1. Januar 2023 und bringen diverse Neuerungen sowie mehr Flexibilität für Schweizer Unternehmen. Wir zeigen nachstehend einige ausgewählte Neuerungen auf.
Kapital in Fremdwährung
Während das Aktienkapital bisher nur auf Schweizer Franken lauten durfte, wird neu auch ein Kapital in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen ausländischen Währung wählbar sein. Dabei muss dieses Kapital im Zeitpunkt der Errichtung dem Gegenwert von mindestens CHF 100'000 entsprechen und die Buchführung und Rechnungslegung haben sodann in derselben Währung zu erfolgen. Zulässig sind die folgenden Währungen: Schweizer Franken CHF, Britische Pfund GBP, Euro EUR, US-Dollar USD und Yen JPY.
Für sämtliche gesellschaftsrechtlichen Aspekte wird die gewählte Fremdwährung relevant, so für die Gründung, die Kapitalerhöhung oder -herabsetzung, die Gewinnverwendung (Dividenden, Reservenbildung), die Beurteilung eines Kapitalverlustes/Überschuldung, etc. Zu Steuerzwecken wird der steuerbare Reingewinn bzw. das steuerbare Eigenkapital in Franken umzurechnen sein, wobei der durchschnittliche Devisenkurs (Verkauf) der Steuerperiode (für den steuerbaren Reingewinn) bzw. der Devisenkurs (Verkauf) am Ende der Steuerperiode (für das steuerbare Eigenkapital) massgebend sein wird.
Die anwendbare Währung wird durch die Generalversammlung bestimmt und ist jeweils auf den Beginn eines Geschäftsjahres möglich. Der Beschluss der Generalversammlung, die Währung zu wechseln, kann im Voraus für das nächste Geschäftsjahr oder rückwirkend für das laufende Geschäftsjahr erfolgen. Zu beachten gilt, dass ein allfälliges Auf- oder Abrunden des mit dem anwendbaren Umrechnungskurs errechneten Kapitalbetrags auf einen runden Betrag (z.B. USD 150'750.25 auf USD 150'000 ab- oder auf USD 151'000 aufrunden), zusätzlich eine Kapitalherabsetzung oder Kapitalerhöhung in der Höhe des entsprechenden Differenzbetrages erforderlich macht. Entsprechend muss eine umfangreichere Dokumentation vorbereitet, notariell beurkundet und beim Handelsregisteramt eingereicht werden. Falls die Gesellschaft in ihren Statuten das neue Institut des Kapitalbandes (vgl. unten) vorgesehen hat, würden diesbezüglich für den Verwaltungsrat, der für die Umsetzung des Währungswechsels und der Kapitalherabsetzung bzw. -erhöhung zuständig ist, Erleichterungen geschaffen.
Aktiennennwert
Der Nennwert der Aktien musste bisher mindestens einen Rappen betragen; neu wird lediglich ein Wert, der grösser ist als null, verlangt.
Neues Institut: Kapitalband
Das neu eingeführte Institut des Kapitalbands erlaubt es, Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen flexibler zu gestalten. Die Generalversammlung kann einen entsprechenden Artikel in die Statuten aufnehmen und dabei den Verwaltungsrat ermächtigen, das Aktienkapital während einer Dauer von maximal fünf Jahren innerhalb der in den Statuten definierten Bandbreite zu verändern. Das Kapitalband darf dabei das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital höchstens um die Hälfte über- bzw. unterschreiten. Zu beachten gilt stets, dass das Mindestkapital von Aktiengesellschaften von CHF 100'000 nicht unterschritten wird und dass eine Kapitalherabsetzung unter dem Titel des Kapitalbandes nur dann erlaubt ist, wenn die Gesellschaft nicht auf die eingeschränkte Revision der Jahresrechnung verzichtet hat.
Das neue Institut des Kapitalbandes ersetzt die bisherige "genehmigte Kapitalerhöhung" und führt neu quasi eine "genehmigte Kapitalherabsetzung" ein.
Neuerungen für Kapitalherabsetzung und Kapitalerhöhung
Für die ordentliche Kapitalherabsetzung sieht das neue Recht Erleichterungen vor. So muss nur noch ein Schuldenruf (statt bisher drei) im Schweizerischen Handelsamtsblatt publiziert werden und der Schuldenruf darf auch bereits vor dem Beschluss der Generalversammlung über die Kapitalherabsetzung erfolgen. Zudem müssen die Gläubiger innerhalb von 30 (statt bisher 60) Tagen die Sicherstellung ihrer Forderungen verlangen. Die durch den zugelassenen Revisionsexperten zu erstellende Bestätigung, dass die Forderungen der Gläubiger trotz der Herabsetzung des Aktienkapitals voll gedeckt sind, darf ebenfalls bereits vor dem Beschluss der Generalversammlung erstellt werden.
Bei der ordentlichen Kapitalerhöhung wird dem Verwaltungsrat der Gesellschaft mehr Zeit nach dem Beschluss der Generalversammlung für die Umsetzung gewährt: Bisher musste eine Kapitalerhöhung innerhalb von drei Monaten nach dem Beschluss der Generalversammlung umgesetzt und ins Handelsregister eingetragen sein; neu hat der Verwaltungsrat sechs Monate Zeit, die Kapitalerhöhung umzusetzen und beim Handelsregisteramt anzumelden. Zudem ist für das Einhalten dieser Frist nicht mehr der Handelsregistereintrag, welchen die Unternehmen nicht beeinflussen können, sondern neu die rechtskonforme Anmeldung beim Handelsregister massgebend.
Zwischendividenden
Das neue Aktienrecht erlaubt es der Generalversammlung explizit, gestützt auf einen Zwischenabschluss die Ausrichtung von Zwischendividenden zu beschliessen. Der Zwischenabschluss muss grundsätzlich von der Revisionsstelle geprüft werden, es sei denn, die Gesellschaft hat auf die eingeschränkte Revision der Jahresrechnung verzichtet (Opting Out) oder falls sämtliche Aktionäre der Ausrichtung der Zwischendividende zustimmen und die Forderungen der Gläubiger durch das Ausschütten der Zwischendividende nicht gefährdet sind.
Schiedsklauseln
Bisher war es umstritten, ob eine Gesellschaft in den Statuten Schiedsgerichtsklauseln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vorsehen und damit alle Aktionäre binden kann. Das neue Recht sieht nun die Möglichkeit, Schiedsgerichtsklauseln in die Statuten aufzunehmen, explizit vor. Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten können so bei entsprechender statutarischer Verankerung neu durch ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz beurteilt werden und damit die Gesellschaft, die Organe der Gesellschaft, die Mitglieder der Organe und die Aktionäre binden.
Generalversammlung
Das neue Recht sieht diverse Modernisierungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung vor. Wurde beispielsweise die Generalversammlung auf elektronischem Weg ("virtuelle Generalversammlung") während der Corona-Pandemie basierend auf der Covid-19-Verordnung bereits durchgeführt, ist diese Möglichkeit nun explizit im Obligationenrecht verankert. Die Neuerungen umfassen unter anderem die Möglichkeit, für die Einberufung der Generalversammlung und die Bekanntgabe des Geschäftsberichts ausschliesslich den elektronischen Weg zu verwenden. Zudem können Beschlüsse der Generalversammlung auch auf dem Zirkularweg gefasst werden, was bisher nur für Verwaltungsratsbeschlüsse zulässig war. Weiter kann die Generalversammlung an mehreren Tagungsorten gleichzeitig oder sogar im Ausland abgehalten werden, wobei letzteres in den Statuten vorgesehen sein muss. Schliesslich können Aktionäre, die nicht vor Ort anwesend sind, ihre Rechte auf elektronischem Weg ausüben. Eine Generalversammlung kann auch ohne Tagungsort ausschliesslich mit elektronischen Mitteln durchgeführt werden ("virtuelle Generalversammlung"), wobei letzteres einer statutarischen Grundlage bedarf. Die Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung liegen im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsrates. Er hat dafür zu sorgen, dass die Ausübung der Aktionärsrechte beispielsweise durch die Wahl des Tagungsortes nicht erschwert werden. Zudem muss er sicherstellen, dass bei der Verwendung elektronischer Mittel die Identität der Teilnehmer feststeht, die Voten in der Versammlung unmittelbar übertragen werden, jeder Teilnehmer Anträge stellen und sich an der Diskussion beteiligen kann und das Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann.
Statuteninhalt
Die neuen Gesetzesbestimmungen sehen diverse Änderungen im Zusammenhang mit den in die Statuten aufzunehmenden Bestimmungen vor. Müssen einige neue Institute wie beispielsweise die Schaffung eines Kapitalbandes, die Möglichkeit der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung oder der Generalversammlung im Ausland neu in den Statuten verankert sein, müssen andere bisher zum zwingend notwendigen Statuteninhalt zählende Bestimmungen wie die Einberufung der Generalversammlung und das Stimmrecht der Aktionäre, oder das Nennen der Organe für die Verwaltung und Revision nicht mehr zwingend in den Statuten genannt werden, da diese Vorschriften direkt aus dem Gesetz hervorgehen. Ebenfalls stellt die (beabsichtigte) Sachübernahme bei der Gründung oder Kapitalerhöhung neu keinen qualifizierten Tatbestand mehr dar, was zur Folge hat, dass sie weder in den Statuten erwähnt noch ein geprüfter Gründerbericht erstellt werden muss und sie folglich auch keine Publikation im Handelsregister nach sich zieht.
Von diesen und weiteren Neuerungen dürfen Schweizer Unternehmen am 1. Januar 2023 Gebrauch machen. Die neuen Gesetzesbestimmungen schaffen Flexibilität für Schweizer Unternehmen und dürften insbesondere für international tätige Unternehmen und Unternehmen mit einem internationalen Aktionariat und Verwaltungsrat interessant sein. Es lohnt sich daher, die Statuten nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen auf Gesetzeskonformität zu überprüfen und allfällig gewünschte Modernisierungen einzuführen. Sofern Statuten und Reglemente nicht gesetzeskonform sind, müssen diese innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach Inkrafttreten des neuen Aktienrechts, also bis Ende 2024, angepasst werden.
Für die Überprüfung der Gesellschaftsunterlagen wie Statuten und Reglemente, für die Anpassung solcher Dokumente und für Beratung bei gesellschaftsrechtlichen Fragen stehen Ihnen die Rechtsberater der KENDRIS AG gerne zur Verfügung.